Deutscher Bundestag
11. Wahlperiode
Drucksache 11/7068
08. 05. 90
Sachgebiet 52
Antwort
der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin, Dr. von Bülow, Erler,
Bachmaier, Becker-Inglau, Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Singer, Stiegler,
Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Ehmke (Bonn), Bahr, Duve, Gansei, Dr. Glotz, Renger,
Dr. Scheer, Dr. Soell, Stobbe, Dr. Timm, Verheugen, Voigt (Frankfurt),
Wieczorek-Zeul, Wischnewski, Würtz, Matthäus-Maier, Dr. Nobel, Schmidt
(Nürnberg), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
— Drucksache 11/6889 —
Disziplinarmaßnahmen gegen Soldaten des DARMSTÄDTER SIGNALS
Selten hat ein Gerichtsurteil neben harter sachlicher Kritik soviel
Schelte und Polemik erfahren wie das Urteil des Landgerichts Frankfurt
vom 20. Oktober 1989. Mit dem „Soldatenurteil" ist ein Arzt, der alle
Soldaten als „potentielle Mörder" bezeichnet hatte, vom Vorwurf der
Beleidigung und der Volksverhetzung freigesprochen worden.
Ohne die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten, bewertete der
Generalinspekteur der Bundeswehr in „bundeswehr aktuell" die Hal-
tung des Gerichts als unerträglich und unbegreiflich, der Bundesmini-
ster der Verteidigung sprach von einer menschenverachtenden Äuße-
rung, die den Soldaten zum potentiellen Mörder erkläre.
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt kommt in seiner Urteilsbegrün-
dung zu dem Ergebnis, daß die Äußerung, Soldaten seien potentielle
Mörder, zwar eine Ehrverletzung der Soldaten darstelle, daß diese
jedoch in einer breite Teile der Öffentlichkeit erfassenden Diskussion
um die Rechtfertigung des Einsatzes von Nuklearwaffen als Ausfluß der
grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit im konkreten Falle ohne
Strafe bleiben müsse. Bis zur Stunde sieht sich der Bundesminister der
Verteidigung außerstande, nach der Urteilsschelte durch die Amtslei-
tung nun auch das Urteil in seinen wesentlichen Gründen den Ange-
hörigen der Bundeswehr bekanntzumachen.
Der Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL, ein Zusammenschluß von
Berufs- und Zeitsoldaten, der sich schon seit geraumer Zeit mit den aus
der Nuklearstrategie der NATO für Soldaten sich ergebenden Gewis-
sensnöten befaßt, hat das Urteil in Kenntnis der schriftlichen Urteilsbe-
gründung positiv gewürdigt. In einer Erklärung anläßlich des 6. Hardt-
berg-Gesprächs des DARMSTÄDTER SIGNALS gaben 21 Berufs- und
Zeitsoldaten am 7. November 1989 folgende Erklärung ab:
,Wir Soldaten des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL begrü-
ßen das sogenannte „Soldatenurteil" der 29. Großen Strafkammer
des Landgerichts Frankfurt vom 20. Oktober 1989. Zum einen ist der
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben vom 4. Mai 1990 des Parlamentarischen
Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung übermittelt.
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Kampf der Meinungen das Lebenselement unserer Gesellschaft, zum
anderen halten wir die Aussage „Alle Soldaten sind potentielle Mör-
der" inhaltlich für richtig. Gerade die immer noch gültige Strategie
der atomaren Abschreckung bringt uns in Gewissensnot, weil sie bei
ihrem Versagen zum massenhaften unterschiedslosen Töten zwingt.
Im Gegensatz zum Bundesministerium der Verteidigung halten wir
eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Urteil und seiner
Begründung sowohl außerhalb als auch innerhalb der Bundeswehr
für notwendig, Wir Staatsbürger in Uniform brauchen keinen beson-
deren Ehrenschutz!'
Das Bundesministerium der Verteidigung wies erst im Dezember 1989
die zuständigen Disziplinarvorgesetzten an, das Verhalten der Unter-
zeichner dieser „Erklärung" einer disziplinarischen Würdigung zu
unterziehen und das Ergebnis zu melden. Zwischenzeitlich wurden ein-
zelne Unterzeichner mit Disziplinarmaßnahmen (Geldbuße, Strenger
Verweis) belegt, von dienstlichen Beförderungen ausgenommen oder
von Dienstposten abgelöst. Andere Unterzeichner sind von ihren Dienst-
vorgesetzten massiv eingeschüchtert worden. Den Unterzeichnern der
Erklärung vom 7. November 1989 wird kameradschaftswidriges Verhal-
ten, Verletzung der Pflicht zur Zurückhaltung bei politischer Betätigung
sowie Schädigung ihrer Vorgesetztenautorität vorgeworfen.
Nach Auffassung der Fraktion der SPD verletzt das Vorgehen des
Bundesministeriums der Verteidigung die Grundsätze der Inneren Füh-
rung. Das Ministerium tabuisiert die Auseinandersetzung in der Truppe
über den Einsatz von Nuklearwaffen. Statt zu Aufklärung und fairer
Diskussion zu befähigen, mißbraucht das Minsterium die Informations-
organe für Bundeswehrangehörige zu einseitiger Urteilsschelte, setzt
damit leichtfertig das Ansehen der rechtsprechenden Gewalt bei den
Soldaten aufs Spiel und unterdrückt mit einer Vielfalt von Disziplinar-
maßnahmen das auch in der Bundeswehr unabdingbare Grundrecht auf
Meinungsfreiheit.
I. 1. Sieht sich die Bundesregierung nach Vorliegen der schriftlichen
Urteilsbegründung des Landgerichts Frankfurt im sogenannten
Soldatenurteil in der Lage, von der voreiligen Urteilsschelte ab-
zurücken, die sie in Unkenntnis dieser Begründung in vielfälti-
ger Form abgegeben hatte?
Die in der Frage enthaltene Behauptung, bei der Stellungnahme
von Mitgliedern der Bundesregierung zu dem sogenannten Solda-
tenurteil handele es sich um eine „voreilige Urteilsschelte ", wird
zurückgewiesen. Die Bundesregierung sieht auch nach Kenntnis-
nahme der schriftlichen Urteilsgründe keine Veranlassung, von
ihren ursprünglichen Stellungnahmen abzuweichen.
2. Was hindert den Bundesminister der Verteidigung bis zum heu-
tigen Tage daran, den Soldaten und Bediensteten der Bundes-
wehr nicht nur seine Urteilsschelte, sondern auch eine von
amtlicher Einflußnahme freie Unterrichtung über die Abwägun-
gen des Landgerichts Frankfurt zum Konflikt zwischen berech-
tigtem Schutz der Ehre des Soldaten und dem grundgesetz-
lichen Schutz der Meinungsfreiheit zukommen zu lassen?
Der Bundesminister der Verteidigung hat das schriftliche Urteil
noch am Tage seiner Zustellung (8. Januar 1990) an alle Rechtsbe-
rater und Rechtslehrer in der Bundeswehr übersandt, um diese in
die Lage zu versetzen, die Soldaten ihres Zuständigkeitsbereichs
über die Urteilsgründe zu unterrichten. Der gleiche Personenkreis
war bereits unmittelbar nach der Urteilsverkündung ausführlich
über die mündliche Urteilsbegründung informiert worden.
3. Wie läßt es sich mit den Grundsätzen der Inneren Führung
vereinbaren, daß der Generalinspekteur und der Bundesmini-
ster der Verteidigung bis heute eine objektive Information ver-
weigern?
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Es trifft nicht zu, daß der Bundesminister der Verteidigung und
der Generalinspekteur der Bundeswehr entgegen den Grundsät-
zen der Inneren Führung bis heute eine objektive Information
über die Urteilsbegründung verweigern.
Die mündliche Urteilsbegründung des Kammervorsitzenden ist im
Beiheft 3/89 der „Information für die Truppe 1 ' abgedruckt und bis
auf die Einheitsebene verteilt worden.
4. Trifft es zu, daß der Generalinspekteur der Bundeswehr seinen
Rücktritt für den Fall in Aussicht gestellt hat, daß das soge-
nannte Soldatenurteil rechtskräftig wird, und wenn ja, wann ge-
denkt er diesen bedeutsamen Schritt ins Werk zu setzen?
Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, die in Rede
stehende Äußerung des Generalinspekteurs zu kommentieren.
5. Weshalb glaubt die Bundesregierung, die in der Urteilsbegrün-
dung des Landgerichts Frankfurt vorgenommene Rechtsgüter-
abwägung nicht hinnehmen zu können, wonach die Behaup-
tung des Arztes, alle Soldaten seien potentielle Mörder, zwar
objektiv eine Beleidigung der Soldaten darstelle, jedoch im kon-
kreten Falle in der erregten öffentlichen Diskussion um die
Nuklearrüstung als Ausdruck der Meinungsfreiheit straflos blei-
ben müsse?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß in der Urteilsbe-
gründung des Landgerichts Frankfurt die gegeneinander abzu-
wägenden Interessen unzureichend bestimmt worden sind.
6. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung nicht sogar das
begrüßenswerte Ergebnis einer auf die Vielfalt der Meinungen
stolzen Demokratie, wenn auch Soldaten der Bundeswehr sich
ebenso wie nach Meinungsumfragen rund 70 Prozent aller
Amerikaner, Franzosen und Deutschen gegen den nuklearen
Teil der westlichen Strategie mit der Androhung des Ersteinsat-
zes von Nuklearwaffen wenden?
Die Frage der Einstellung der Bevölkerung aus Mitgliedstaaten
der NATO und von Soldaten der Bundeswehr zur Strategie des
Bündnisses darf nicht mit Blick auf die Androhung des Ersteinsat-
zes von Nuklearwaffen isoliert betrachtet werden. Unter dem
Schutz der abgestuften Reaktion konnte sich die inzwischen läng-
ste Friedensperiode in der deutschen Geschichte entwickeln. Die
Strategie des Bündnisses hat dazu beigetragen, daß die begrü-
ßenswerten, tiefgreifenden Entwicklungen in Mittel-, Ost- und
Südosteuropa möglich wurden. Die Zustimmung zur bewaffneten
Verteidigung durch Bundeswehr und Bündnis hat sich seit Jahren
auf hohem Niveau stabilisiert. Die Vielfalt der Meinungen unter
Soldaten zu Einzelfragen der Strategie entspricht dem Leitbild
vom Staatsbürger in Uniform, soweit bei der Meinungsäußerung
die gesetzlich begründeten Pflichten und die Bedingungen des
Dienstes berücksichtigt werden.
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7. Wann sieht sich die Bundesregierung imstande, die bisher noch
geheimgehaltene Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts
der Bundeswehr in München zu veröffentlichen, nach der über
90 Prozent der Mannschaften, rund 65 Prozent der Unteroffiziere
und 35 Prozent der Offiziere der Bundeswehr im Gegensatz zur
geltenden NATO-Strategie den Einsatz von Nuklearwaffen für
unter keinen Umständen vertretbar halten?
Studien des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr
werden grundsätzlich in der Berichtsreihe des Instituts veröffent-
licht. Demnach gibt es keine „geheimgehaltene Studie" dieses
Forschungsinstituts. Demgegenüber sind Gutachten, die zur inter-
nen Auswertung und Meinungsbildung durch das Bundesministe-
rium der Verteidigung in Auftrag gegeben werden, grundsätzlich
nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.
Die Anfrage zielt auf das Gutachten „Erziehung in der Bundes-
wehr" aus dem Jahr 1985. Die wichtigsten Ergebnisse dieses
Gutachtens wurden in einem Beitrag der Zeitschrift „Truppen-
praxis" Nr. 5/1988 veröffentlicht.
8. Kommt nicht auch der Soldat der Bundeswehr, der im Ernstfall
den Befehl zum Einsatz nuklearer Waffen zu befolgen hat,
zwangsläufig in die im Frankfurter Soldatenurteü gewogene
Konfliktlage, als potentieller Mörder im nicht juristischen Sinne
mißbraucht zu werden?
9. Ist nicht die Weigerung der Bundesregierung, die Genfer
Zusatzprotokolle zum Kriegsvölkerrecht mit dem Verbot der
unterschiedslosen Kriegführung gegen zivüe wie militärische
Ziele vorbehaltlos zu unterzeichnen, ein Beweis dafür, daß die
westliche Strategie dem Soldaten die Konfliktlage, in der er zum
potentiellen Mörder an einer wehrlosen Zivilbevölkerung wer-
den kann, nicht ersparen will und kann?
Das Bundeskabinett hat am 31. Januar 1990 dem Entwurf eines
Vertragsgesetzes zu den Zusatzprotokollen I und II zu den Vier
Genfer Abkommen zugestimmt und damit das Vertragsgesetzge-
bungsverfahren eingeleitet.
Die friedenssichernde Strategie des Atlantischen Bündnisses ist
mit dem in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären
Völkerrecht, wie es von den Genfer Zusatzprotokollen neu bestä-
tigt und weiterentwickelt worden ist, voll vereinbar. Die vorge-
sehenen Interpretationserklärungen sind im Bündnis abgestimmt
und stellen keine Vorbehalte dar. Sie tragen dazu bei, auch den
einzelnen Soldaten die Rechtslage zu erklären.
10. Kommt nicht auch nach Auffassung der Bundesregierung in der
Unterstützung des Frankfurter Soldatenurteils durch die im
DARMSTÄDTER SIGNAL zusammengeschlossenen Soldaten
der Bundeswehr genau die Auffassung zum Ausdruck, die die
Mehrheit der Bevölkerung wie die Mehrheit der Soldaten der
Bundeswehr teilt: daß der Nuklearwaffeneinsatz nahezu aus-
nahmslos zu einer nicht hinnehmbaren Ausrottung großer Teile
der wehrlosen Bevölkerung führen muß und die Soldaten damit
nicht nur zu potentiellen, sondern in der Volkswertung sogar zu
tatsächlichen Mördern macht?
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die den
Schluß zulassen, daß das sog. Frankfurter Soldatenurteil und
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seine Unterstützung durch die im „DARMSTÄDTER SIGNAL 1 '
zusammengeschlossenen Soldaten die Auffassung der Mehrheit
der Bevölkerung wie der Mehrheit der Soldaten zum Ausdruck
bringt. Vielmehr wird die Aussage „Jeder Bundeswehrsoldat ist
ein potentieller Mörder" von 88 Prozent der Bevölkerung abge-
lehnt. Erkenntnisse über die „Volkswertung" liegen nicht vor.
11. Zeigt nicht auch nach Auffassung der Bundesregierung die
deutsche Geschichte, daß immer wieder Soldaten politisch miß-
braucht wurden und damit zu Mördern in der Ausdrucksweise
des Volkes wurden?
Wurden nicht auch die Piloten des Zweiten Weltkrieges, die im
Vorgriff auf die Vemichtungsmacht von Nuklearwaffen Bom-
berangriffe gegen die Zivilbevölkerung deutscher wie alliierter
Städte flogen, gegen ihren Willen zu Mördern?
Es ist bekannt, daß es in der deutschen Geschichte Beispiele dafür
gibt, daß Soldaten politisch mißbraucht wurden und es auch zu
Verstößen gegen das Völkerrecht gekommen ist, bei denen Solda-
ten schuldig geworden sind.
Die Soldaten der Bundeswehr erfüllen einen aus dem Grundge-
setz der Bundesrepublik Deutschland abgeleiteten Auftrag, der
ethisch begründet ist. Es ist nicht gerechtfertigt, Soldaten der
Bundeswehr unter Berufung auf fragwürdige historische Ver-
gleiche einer undifferenzierten und pauschal diffamierenden Dis-
kussion auszusetzen.
II. 1. Wie viele Soldaten der Bundeswehr sind derzeit mit Disziplinar-
verfahren konfrontiert, weil sie am 7. November 1989 die Erklä-
rung des DARMSTÄDTER SIGNALS unterzeichnet haben?
Bei allen Soldaten, die aufgrund ihrer Namensangabe im Ver-
dacht stehen, die Erklärung des DARMSTÄDTER SIGNALS vom
7. November 1989 mit dem Satz „wir halten die Aussage ,alle
Soldaten sind potentielle Mörder' inhaltlich für richtig" unter-
zeichnet zu haben, waren nach § 28 der Wehr disziplinär Ordnung
disziplinäre Überprüfungen gesetzlich geboten.
2. Sind bereits „Disziplinarmaßnahmen" oder „Erzieherische
Maßnahmen" ausgesprochen worden? Wenn ja, in wie vielen
Fällen und in welcher Form?
Das Verhalten einzelner Soldaten ist bereits disziplinär gewürdigt
worden. Ich bitte um Verständnis, daß ich wegen des Vertraulich-
keitsprinzips im Disziplinarrecht Ihre Frage nicht eingehender
beantworte: Da die Namen der beteiligten Soldaten öffentlich be-
kannt sind, würde die Mitteilung weiterer Einzelheiten letztlich
zur gesetzlich nicht gewollten Offenlegung individueller Diszipli-
narangelegenheiten führen.
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3. Wurden dienstliche Fördermaßnahmen (z. B. Beförderung, Ver-
wendung auf einem anderen/höherwertigen Dienstposten) aus-
gesetzt? Wenn ja, in wie vielen Fällen und für welche Förder-
maßnahmen?
Bei allen disziplinären Untersuchungen gilt nach der Nummer 134
der Zentralen Dienstvorschrift 20/7, daß ein Soldat bis zum Ab-
schluß des betreffenden Verfahrens grundsätzlich nicht zu fördern
ist. Die Rechtmäßigkeit dieser Regelung ist in höchstrichterlicher
Rechtsprechung mehrfach bestätigt worden. Die öffentliche Mit-
teilung von Einzelheiten aus derartigen vertraulichen Personal-
vorgängen verbietet sich auch hier.
4. Ist es zutreffend, daß der Bundesminister der Verteidigung per-
sönlich in die Entscheidung über den Verfahrensablauf sowie in
einzelne Verfahren eingegriffen hat?
Der Minister wurde von Amts wegen mit der Angelegenheit be-
faßt. Nach anschließender Entscheidung des zuständigen Staats-
sekretärs war in einem besonders gelagerten Einzelfall ein
Gericht mit der Sache zu befassen; in den übrigen Fällen waren
die Entscheidungen über den Verfahrensfortgang durch die nach
der Wehrdisziplinarordnung vorgesehenen Vorgesetzten in eige-
ner Zuständigkeit zu treffen.
5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Unterzeich-
nung der Erklärung des DARMSTÄDTER SIGNALS vom 7. No-
vember 1989 einer disziplinarischen Würdigung zu unterziehen
ist? Wenn ja, mit welcher Begründung?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es nicht hingenom-
men werden darf, wenn sich Bundeswehrsoldaten in Vorgesetz-
tenstellung öffentlich mit der Aussage „alle Soldaten sind
potentielle Mörder" identifizieren. Die Äußerung erfüllt selbst
nach dem Urteil des Frankfurter Landgerichts vom 20. Oktober
1989 den Tatbestand der Beleidigung. Auf die Rechtfertigungs-
gründe, die das Gericht einem nicht dem Pflichtenkatalog des
Soldatengesetzes unterworfenen Bundeswehrgegner in einer be-
sonderen konkreten Situation zugebilligt hat, können sich Solda-
ten, die in Kenntnis des Friedenssicherungsauftrags der Bundes-
wehr diese Aussage wohlüberlegt wiederholen, nicht berufen.
6. Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich ein Soldat
„kameradschafts widrig" verhält, wenn er die Aussage „Alle
Soldaten sind potentielle Mörder" dem Inhalt nach für richtig
hält, und wie begründet die Bundesregierung ggf. ihre Auffas-
sung?
Nach § 12 des Soldatengesetzes hat ein Soldat gegenüber allen
anderen Soldaten der Bundeswehr die Rechtspflicht zur Rück-
sichtnahme; insbesondere ist er u. a. gesetzlich gehalten, die Ehre
und die Würde des Kameraden zu achten. Wenn er äußert, daß er
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alle Bundeswehrsoldaten für potentielle Mörder hält, ist dies nach
Auffassung der Bundesregierung auch unter dem Gesichtspunkt
des § 12 SG zu überprüfen.
7. Wie beurteilt die Bundesregierung den in einem Disziplinarver-
fahren geäußerten Vorhalt, ein Soldat schädige die Vorgesetz-
tenautorität, wenn er ein Urteil gutheiße, das von höheren Vor-
gesetzten als verletzend empfunden werde?
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß ein solcher wenig
sachdienlicher Vorhalt in einem Disziplinarverfahren gemacht
worden ist.
8. Stellt es nach Auffassung der Bundesregierung eine Verletzung
der Zurückhaltungspflicht dar, wenn ein Soldat der Bundeswehr
außerhalb des Dienstes zu dem „Soldatenurteil" so Stellung
nimmt, wie es die „Erklärung” des DARMSTÄDTER SIGNALS
vom 7. November 1989 ausweist, und wie begründet die Bun-
desregierung ihre Auffassung?
Der Satz „alle Soldaten sind potentielle Mörder" beinhaltet, daß
die Unterzeichner der Erklärung (auch) alle Soldaten der Bundes-
wehr pauschal für fähig und gegebenenfalls für willens halten,
gemeine oder gemeingefährliche Tötungshandlungen zu be-
gehen; anders ist die wohlüberlegte Verwendung des Begriffs
„Mörder" nicht auszulegen.
Damit entspricht es der Pflicht des Vorgesetzten nach § 28 der
Wehrdisziplinarordnung, eine solche Äußerung an der Bestim-
mung des § 10 Abs. 6 des Soldatengesetzes zu messen, wonach
Soldaten in Vorgesetztenstellung auch außerhalb des Dienstes die
Zurückhaltung zu wahren haben, die erforderlich ist, um das
Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten.
9. Stellt die Hinzufügung des Dienstgrades bei der Unterzeich-
nung dieser „Erklärung" nach Auffassung der Bundesregierung
eine Dienstpflichtverletzung dar, und wie begründet die Bun-
desregierung ihre Auffassung?
Bei der Unterzeichnung einer öffentlichen Erklärung den Dienst-
grad anzufügen, stellt für sich keine Pflichtverletzung dar.
10. Wie beurteilt die Bundesregierung den Hinweis einzelner
Unterzeichner, sie hätten durch die inkriminierte „Erklärung"
der ihnen in § 8 Soldatengesetz auferlegten Pflicht entsprochen,
für die demokratische Grundordnung einzutreten?
Dieser Hinweis wird als abwegig angesehen. § 8 des Soldatenge-
setzes ist kein Rechtfertigungsgrund für anderweitige Pflichtver-
letzungen.
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1 1 . Trifft es zu, daß in einzelnen Fällen zuständige Disziplinarvorge-
setzte, die in der Unterzeichnung der „Erklärung" keine Dienst-
pflichtverletzung zu erkennen vermochten und daher die Ver-
hängung einer Disziplinarmaßnahme nicht beabsichtigen, von
Vorgesetzten Dienststellen angewiesen wurden, ihre Entschei-
dung zu überprüfen?
Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor.
Die bei allen Unterzeichnern der Erklärung veranlaßte diszipli-
näre Überprüfung war jedoch aufgrund der Gesetzeslage ge-
boten.
12. Hält die Bundesregierung es für vereinbar mit der dem Soldaten
obliegenden Pflicht zur Zurückhaltung bei politischer Betäti-
gung, wenn dieser in übelster Form polemische Urteilsschelte
an dem Frankfurter „ Soldatenurteil" übt? Wenn nein, in wie vie-
len Fällen sind wegen eines derartigen Verhaltens Disziplinar-
verfahren gegen Soldaten, insbesondere Offiziere und Unterof-
fiziere, eingeleitet worden?
Die Bundesregierung mißt dem Recht der Soldaten auf freie Mei-
nungsäußerung einen hohen Stellenwert zu. Sie hat Verständnis
dafür, daß Soldaten unter dem Eindruck, als potentielle Mörder
bezeichnet zu werden, empfindsam und deutlich reagieren. Um
der wertenden Behauptung einer „polemischen Urteilsschelte in
übelster Form" nachgehen zu können, fehlt es an Tatsachen.
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